«Erzielen Frauen ein höheres Erwerbseinkommen, verbessert sich automatisch auch ihre Altersvorsorge»: Ruth Metzler-Arnold
«Erzielen Frauen ein höheres Erwerbseinkommen, verbessert sich automatisch auch ihre Altersvorsorge»: Ruth Metzler-Arnold
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«Die Schweiz hat ein einzigartiges Vorsorgemodell»

Die frühere Bundesrätin und heutige Axa-Vizepräsidentin Ruth Metzler über die Erhöhung des Rentenalters, tiefere Umwandlungssätze und die Gleichstellung von Mann und Frau.

Die AHV ist in Schieflage. Spätestens in 15 Jahren dürften die Reserven aufgebraucht sein. Der Ständerat will das Rentenalter für Frauen nun auf 65 erhöhen. Wird die AHV auf dem Buckel der Frauen saniert?
Ich habe die Angleichung des Rentenalters schon vor vielen Jahren befürwortet. Es wird bei dieser Diskussion leicht vergessen, dass die beiden Geschlechter bereits bei der Einführung der AHV im Jahr 1948 gleichgestellt waren. Erst im Zuge der Revisionen von 1956 und 1963 wurde das Rentenalter der Frauen herabgesetzt – von einem Parlament, das ausschliesslich aus Männern bestand, und mit der Begründung, Frauen hätten «physiologische Nachteile».

Gestritten wird auch um die Kompensationszahlungen. Wird die AHV-Reform damit nicht wie viele frühere Reformvorhaben Schiffbruch erleiden?
Es wäre fatal, wenn die Reform daran scheitern würde. Ich hoffe deshalb sehr, dass ein parlamentarischer Kompromiss von einer Ratsmehrheit im Sinne des Ganzen mitgetragen wird. Es geht ja nicht darum, eine tiefere Rente zu kompensieren, sondern ein Zeichen der Anerkennung zu setzen, dass die Frauen erst ein Jahr später in Rente gehen dürfen.

Sollte das Rentenalter mit der höheren Lebenserwartung gekoppelt werden?
Wir kommen gar nicht darum herum. Seit Einführung der AHV hat die Lebenserwartung der 65-jährigen Männer um 7,6 Jahre, die der Frauen sogar um 8,3 Jahre zugenommen. Diese zusätzlichen Rentenjahre müssen finanziert werden. Und zwar von den Arbeitnehmenden und den Arbeitgebenden, nicht vom Steuerzahler.

«Es lohnt sich, in Anlagenklassen zu investieren, die langfristig attraktive Rentenaussichten bieten.»

Leider ist es bis jetzt weder den politisch Verantwortlichen noch allen anderen Akteuren in der Altersvorsorge gelungen, der Bevölkerung verständlich zu erklären, dass mit denselben Einzahlungen in die berufliche Vorsorge nicht ein immer längerer dritter Lebensabschnitt nach der Pensionierung finanziert werden kann.

Traum und Wirklichkeit gehen bei der Pensionierung oft auseinander – wie lässt sich dieses Dilemma lösen?
Die Schweiz hat ein einzigartiges Vorsorgemodell, das Solidarität in der ersten, Sozialpartnerschaft in der zweiten und Eigenverantwortung in der dritten Säule ausbalanciert. Unsere Ausgangslage ist damit im weltweiten Vergleich nach wie vor sehr gut. Damit dies trotz anhaltend tiefer Zinsen und steigender Lebenserwartung auch für die folgenden Generationen so bleibt, ist die Politik gefordert, die Grundlagen des obligatorischen BVG-Teils der Wirklichkeit anzupassen und so die systemwidrige Umverteilung von Jung zu Alt zu reduzieren. Im Überobligatorium haben viele Stiftungsräte den Handlungsbedarf schon früh erkannt und die Parameter rechtzeitig justiert.

Heftig umstritten ist die Senkung des gesetzlichen Mindest-Umwandlungssatzes im obligatorischen Teil der 2. Säule von 6,8 auf 6 Prozent. Müsste der Umwandlungssatz nicht noch stärker sinken?
Auch wenn im Überobligatorium längst mit deutlich tieferen Werten gerechnet wird, muss gewährleistet sein, dass Menschen mit tiefen Einkommen aus dem BVG-Obligatorium weiterhin einen substanziellen Beitrag zur Finanzierung ihres Lebensunterhaltes im Alter erhalten. Obschon der Umwandlungssatz im Obligatorium an sich ebenfalls unter sechs Prozent liegen sollte, erachte ich den Vorschlag des Bundesrates deshalb als sinnvoll. Alles andere wäre politisch gar nicht umsetzbar.

Schon jetzt haben die meisten Pensionskassen und Versicherer für den obligatorischen und überobligatorischen Teil zusammen viel tiefere Umwandlungssätze von zum Teil weniger als fünf Prozent. Werden die Renten in der Schweiz weiter sinken?
Die Ausgangslage ist je nach Rentnerbestand und Altersstruktur einer Pensionskasse unterschiedlich. Weil wir länger leben und seit Jahren sehr tiefe Zinsen haben, geht der Trend aber tatsächlich weiter nach unten. Umso wichtiger wird die jährliche Verzinsung der Altersguthaben als dritter Beitragszahler – hier gibt es riesige Unterschiede, denen viel zu wenig Beachtung geschenkt wird. Denn ob mein Altersguthaben jährlich mit einem oder zwei Prozent verzinst wird, macht auf Grund des Zinseszinseffektes im Alter mindestens zwanzig Prozent mehr oder weniger Rente aus.

Wie erklären Sie sich diese enormen Rendite-Unterschiede unter Pensionskassen und Versicherern?
Die berufliche Vorsorge ist ein Geschäft über Jahrzehnte. Kurzfristige Marktschwankungen können dadurch gut aufgefangen werden. Es lohnt sich deshalb, in Anlageklassen zu investieren, die langfristig attraktive Renditeaussichten bieten wie zum Beispiel Aktien. Während Vollversicherungen in einem engen regulatorischen Korsett agieren, sind teilautonome und autonome Stiftungen freier in der Anlagestrategie und haben es dadurch einfacher, Ertrags-Chancen für ihre Kunden wahrzunehmen.

Die Axa setzt seit 2019 ganz auf teilautonome Lösungen und bietet seither keine Vollversicherung mehr an. Welche Bilanz ziehen Sie?
Wir sind sehr zufrieden. Wir konnten unseren Versicherten in diesen zwei Jahren bereits eine Milliarde Franken mehr Zinsen gutschreiben, als es uns in der Vollversicherung möglich gewesen wäre. Auch der Deckungsgrad ist mit durchschnittlich 110 Prozent nach Verzinsung sehr solid.

«Auch die Jungen müssen sich für eine sinnvolle BVG-Reform engagieren.»

Es zahlt sich nun aus, dass wir unsere Stiftungen mit hohen Reserven und ohne die laufenden Renten in die Teilautonomie überführt hatten.

Aber beim Wechsel haben Sie viele KMU als Kunden verloren. Ist das Vertrauen wieder zurückgekehrt?

Schon damals hatten neun von zehn Kunden unseren Wechsel in die Teilautonomie mitgemacht. Und nun sprechen die Konditionen für sich: Per 2020 verdreifachte sich das BVG-Neugeschäft der Axa – ein absoluter Rekordwert.

Bräuchte es bei der Anlage der Gelder der 2. Säule nicht generell eine stärkere Professionalisierung?
Die steigenden Anforderungen der Regulatoren und die Herausforderungen durch die tiefen Zinsen haben in den letzten Jahren bereits zu einer Konsolidierung in der beruflichen Vorsorge geführt. Mit der zunehmenden Bedeutung alternativer Anlagen wird künftig noch mehr Expertise nötig sein, um Vermögensverwalter auszuwählen und zu überwachen.

Der Wettbewerb spielt in der 2. Säule nur bedingt. Zwar können Arbeitgeber die Pensionskasse selber wählen, nicht aber die Arbeitnehmer. Würde eine freie Kassenwahl nicht mehr Wettbewerb und damit mehr Leistungsdruck für Pensionskassen und Versicherer bringen?
Die Stiftungsräte der Pensionskassen bestehen zur Hälfte aus Arbeitnehmervertretern. Dadurch wird den Anliegen der Versicherten bereits heute Rechnung getragen. Seit letztem Jahr müssen die Arbeitnehmenden zudem mit einem Pensionskassenwechsel einverstanden sein, haben also auch in dieser Frage ein Mitbestimmungsrecht. Eine individuelle Pensionskassenwahl würde das heute schon komplexe BVG weiter verkomplizieren – mit den entsprechenden Kostenfolgen. Kommt hinzu, dass ein grosser Teil der Versicherten eine solche Freiheit nur schwerlich nutzen könnte, da es doch einiges an Fachwissen benötigt, um sich in dieser äusserst komplexen Materie zurechtzufinden.

Ruth Metzler-Arnold

Die ehemalige Bundesrätin und Vorsteherin des Justiz- und Polizeidepartements sowie frühere Finanzdirektorin des Kantons Appenzell Innerrhoden amtet heute als Präsidentin und Mitglied verschiedener Verwaltungs- und Stiftungsräte. Beim Versicherungsunternehmen Axa Schweiz ist sie Vizepräsidentin des Verwaltungsrates. Zudem ist sie Präsidentin von Switzerland Global Enterprise und FehrAdvice sowie Verwaltungsrätin der Bank Reyl, von Swiss Medical Network und der Schweizer Privatklinikgruppe Clienia.

Müssten nicht auch die Verwaltungskosten der Pensionskassen und Versicherer, welche die Rendite auf dem Vorsorgegeld schmälern, kritisch hinterfragt werden?
Sämtliche Stiftungen müssen ihren Verwaltungsaufwand in der Jahresrechnung ausweisen. Aber klar, wir sehen uns in der Pflicht, die Kosten bei gleichbleibender Qualität kontinuierlich zu reduzieren. Die Digitalisierung bietet dafür einiges Potenzial. Wobei der günstigste Anbieter nicht automatisch der beste ist. Was zählt, ist, was man später im Alter als Rente im Portemonnaie hat.

Was braucht es, damit die Jungen später auch eine gute Rente bekommen?
Auch die Jungen müssen sich für eine sinnvolle und nachhaltige BVG-Reform engagieren, die das heutige Rentenniveau möglichst behält, ohne der AHV dringend benötigte Zusatzressourcen zu entziehen.

Spüre ich da eine gewisse Kritik an der aktuellen BVG-Reform?
Ich kann gewisse Vorschläge tatsächlich nicht nachvollziehen, vorab die Einführung des Umlageverfahrens in der beruflichen Vorsorge. Das wäre ein erster Schritt, um aus dem BVG-Obligatorium eine erweiterte AHV zu machen. Die Finanzierung der Kompensationsmassnahmen darf nicht über Lohnprozente erfolgen – die gehören der AHV – und dann nach dem Giesskannenprinzip verteilt werden. Die vorgeschlagene «Mini-AHV» wäre ein Fremdkörper in der 2. Säule.

Wie sollte denn die Finanzierung der Kompensationsmassnahmen erfolgen?
Lediglich 14 Prozent der Versicherten gehören einer BVG-nahen Kasse an. Für die grosse Mehrheit würde die Reform also gar keine Rentenreduktion bedeuten, sodass es für sie auch keine Kompensation braucht. Darüber hinaus verfügen die meisten Pensionskassen heute schon über die nötigen Reserven, um die Lücken der Übergangsgeneration aus eigener Kraft zu finanzieren. Meines Erachtens würde der vom Pensionskassenverband ASIP vorgeschlagene «Mittelweg» eine sinnvolle Revision gewährleisten, ohne allen Erwerbstätigen und Arbeitgebern zusätzliche Lohnprozente abzuzwacken und das BVG mit Elementen der AHV zu vermischen.

«Was zählt, ist, was man später im Alter als Rente im Portemonnaie hat.»

Allerdings vermisse ich auch hier einen Lösungsansatz für den Koordinationsabzug. Ich bin mir bewusst, dass dieser ursprünglich eingeführt wurde, um die AHV und das BVG aufeinander abzustimmen. Aber in den letzten Jahren haben sich die Lebens- und Arbeitsverhältnisse verändert, wurden Teilzeitanstellungen, unterschiedliche Arbeitgeber und andere neue Arbeitsmodelle Realität. Dem wird der Koordinationsabzug nicht mehr gerecht. Ich befürworte deshalb seit Jahren, diesen abzuschaffen.

Sie engagieren sich im Initiativkomitee für die Individualbesteuerung als Beitrag zur Gleichstellung von Frau und Mann. Warum?
Mit der Individualbesteuerung wird endlich der Verfassungsgrundsatz umgesetzt, dass gleiche wirtschaftliche Verhältnisse auch gleich besteuert werden – und zwar unabhängig vom Trauschein. Aus gleichstellungspolitischer Sicht ist die Individualbesteuerung am besten, weil sie auf Grund der niedrigen Grenzsteuerbelastung die Wahl des Familienmodells von allen Besteuerungsmodellen am wenigsten beeinflusst. Im heutigen System fällen gerade verheiratete Frauen mit kleineren Kindern den Entscheid über ihre Erwerbstätigkeit, auch mit Blick auf die steuerliche Belastung. Die Individualbesteuerung schafft Gleichberechtigung und damit eine neue Ausgangslage für die Diskussion über die Rollenverteilung in der Familie.

Was raten Sie besonders den Frauen, damit sie ihre Altersvorsorge verbessern können?
Wenn die Rahmenbedingungen endlich stimmen – nebst der Individualbesteuerung vor allem auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie – werden Zehntausende von Frauen zu einem erhöhten Prozentsatz beziehungsweise überhaupt wieder arbeiten. Zu diesem Schluss kommen verschiedene Studien im Zusammenhang mit der Individualbesteuerung. Erzielen sie ein höheres Erwerbseinkommen, verbessert sich automatisch auch ihre Altersvorsorge.

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