Wer durch Irland reist, sollte einen Stopp in einem der zahlreichen Pubs einplanen, um einer der vielen Geschichten zu lauschen, die dort meist auf Irisch erzählt werden.
Wer durch Irland reist, sollte einen Stopp in einem der zahlreichen Pubs einplanen, um einer der vielen Geschichten zu lauschen, die dort meist auf Irisch erzählt werden.
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Irlands Wilder Westen

In der irischen Region Connemara liegen Lebenslust, Rebellion und Melancholie nahe beieinander. Der Atlantik ist hier für die zerklüfteten Ufer und die Kapriolen des Wetters verantwortlich.

Artur K. Vogel

Wenn der Sturm die gelben Ginsterbüsche zerzaust und kalten Regen über die Torfmoore treibt, wenn die Wellen gegen die felsige Küste branden und man es sich im Pub oder der guten Stube an einem Torf- oder Gasfeuer gemütlich gemacht hat, erblühen die Geschichten. Die Iren sind ein Volk von Dichtern und Bänkelsängern von alters her.

Wir sind in Clifden an Irlands Westküste, einem schmucken Städtchen mit 1600 Einwohnern und einigen Pubs. Ob in «Lowry’s Irish Music and Whiskey Bar», in «Griffin’s Bar» oder in «Mullarkeys Bar»: Überall wird Musik gemacht. Und wenn diese verstummt, flammen Diskussionen auf, oft auf Irisch, einer keltischen Sprache, welche die Briten einst ausrotten wollten, und welche heute als Ausdruck des Nationalstolzes wieder gepflegt und gelehrt wird.

Verbitterung und Heiterkeit

Die Briten sind zwar, nach 800-jähriger Herrschaft, seit fast hundert Jahren weg, ausser im Norden, wo sechs Counties (Bezirke) in der Grafschaft Ulster noch immer zum Vereinigten Königreich gehören. Aber die Verbitterung bleibt lebendig: Noch heute wird erzählt, wie die englischen Grundbesitzer und die Regierung im fernen London nichts unternahmen, als die Hungersnot 1846 bis 1850 Hunderttausende dahinraffte und weitere Hunderttausende zur Auswanderung zwang. Wie die Briten die irische Unabhängigkeitsbewegung unterdrückten, den Osteraufstand von 1916 in Dublin gewaltsam niederschlugen und seine Protagonisten hinrichteten. Und wie erst ein langjähriger Untergrundkrieg 1922 die Unabhängigkeit brachte.

«Die Iren sind ein Volk von Dichtern und Bänkelsängern von alters her.»

Brian Hughes ist ebenfalls ein begnadeter Erzähler: Mucksmäuschenstill lauschen die Gäste in der Bar des Abbeyglen Castle Hotel in Clifden seinen heiteren Geschichten. Brian ist auch Sänger. Ob im Restaurant nach dem Abendessen oder später in der Bar: Er setzt sich ans Piano und singt. Doch bei unserer Ankunft hat er auch die Koffer ins Zimmer getragen. Porteur ist Brian allerdings nicht. Nein, er ist der Eigentümer des gemütlichen, stilvollen Abbeyglen Castle Hotel, 1832 erbaut und von seinen Eltern in den 1960er-Jahren erworben.

Clifden ist die inoffizielle Hauptstadt der inoffiziellen Region Connemara. Diese gehört verwaltungstechnisch zur Grafschaft Galway, diese wiederum zur Provinz Connaught. Connemara erstreckt sich geografisch von Westport im Norden bis Galway im Süden und dem Lough Corrib, dem grössten See Irlands, im Osten.

Räucherlachs und Austern

Auch in Connemara lebt der Mensch nicht von Geschichten allein. Kulinarisch hat die Gegend viel zu bieten, nicht nur den Whiskey (der hier, anders als der schottische, mit einem E geschrieben wird). Graham Roberts ist stolz auf seine Produkte: In seinem Connemara Smokehouse, in Ballynonneely auf einer Landspitze gelegen, demonstriert der Sohn eines Fischers, wie er hier Lachse räuchert, nachdem er sie von Hand filetiert und entgrätet hat. Grahams Lachs oder auch seine köstlichen, geräucherten Makrelen sind teurer als im Supermarkt, viel teurer. Aber wer sie einmal gekostet hat, will nie mehr minderwertigen, industriell verarbeiteten Zuchtlachs essen.

In Letterfrack am Nordwestzipfel des Connemara Nationalparks züchtet David Keane Austern.
In Letterfrack am Nordwestzipfel des Connemara Nationalparks züchtet David Keane Austern.

In Letterfrack am Nordwestzipfel des Connemara Nationalparks züchtet David Keane Austern. Sie werden als winzige Babys aus Frankreich importiert und dann drei Jahre im Meerwasser gehegt. Chris Lacey, der uns die Austernzucht präsentiert, ist eigentlich Schaffarmer. «Vor ein paar Jahren wusste ich noch nicht, was Austern sind», sagt er lachend. Und während er die harte Arbeit im Wasser beim Schütteln und Kehren der Austernkäfige gern macht, hat er mit dem eigenen Produkt noch Mühe: «Bisher habe ich erst 14 Austern gegessen», bekennt Chris – und das in drei Jahren.

Mehr Schafe als Iren

Schafe spielen eine weitaus grössere Rolle als Austern. Tatsächlich leben in Irland mehr Schafe als Iren, nämlich etwa acht Millionen, wenn jeweils die Lämmer geboren sind, die danach grösstenteils wieder aufgegessen werden. Doch die Zahlen sinken. Mit der Wolle sei kein Geld zu verdienen, sagt Joe Joyce, der in Shanafaraghaun im Joyce Country am Lough Na Fooey, einem langgezogenen See, Schafe und ihre Wächter, die Border Collies, züchtet. Wovon leben er und seine Familie denn? Erstens von Subventionen. Zweitens vom Verkauf des Lammfleisches. Und drittens verkauft Joe Joyce seine Hirtenhunde, die exzellente Stammbäume vorweisen und Wettbewerbe gewonnen haben, in alle Welt. Besuchenden führt Joe vor, wie die Hunde auf Kommandos reagieren und die Schafe zusammentreiben.

Joe Joyce hat sich auf andere Tiere spezialisiert. Er züchtet in Shanafaraghaun Schafe und Border Collies.
Joe Joyce hat sich auf andere Tiere spezialisiert. Er züchtet in Shanafaraghaun Schafe und Border Collies.

Wer lieber dem Meer als den Hügeln nahe ist, bucht bei Westport Cruises eine Bootsfahrt durch die Clew Bay. Auch Tom King senior und Tom King junior, denen das Ausflugsboot gehört, entpuppen sich als ergiebige Erzähler. Die Bucht ist mit kleinen Inselchen gespickt, sogenannten Drumlins. 365 sollen es sein. «Ich habe versucht, sie zu zählen», sagt Tom junior, «aber bisher ist es mir nicht gelungen.» Er ist Lehrer, hat auch schon im afrikanischen Gambia unterrichtet und kennt zu jeder Insel eine Story.

Ginster in Irland
Ginster in Irland

An manche dieser Geschichten glauben die Iren, jedenfalls nach dem zweiten oder dritten Whiskey. Zum Beispiel daran, dass Piraten auf Inishdaugh einen Goldschatz vergraben haben. Oder Clare Island, wo die legendäre Piraten­königin Granuaile (Englisch: Grace) O’Malley 1530 geboren wurde. Sie befehligte eine ­grosse Flotte und begegnete der englischen Monarchin Elizabeth I. auf Augenhöhe, was sie zu einer Galionsfigur der irischen Nationalisten werden liess.

Diese Reportage ermöglicht hat das auf Irland, die Kanalinseln, Zypern und Malta spezialisierte Reisebüro Rolf Meier Reisen AG in Neuhausen am Rheinfall.

Der 764 Meter hohe, kegelförmige, in Wolken gehüllte Berg an der Clew Bay nennt sich Croagh Patrick. Der irische Nationalheilige soll dort oben im Jahr des Herrn 441 vierzig Tage lang gefastet haben. Eine Kapelle auf dem Gipfel hat sich zum Wallfahrtsort gemausert. Zehntausende pilgern jeweils am letzten Sonntag im Juli auf den Berg, «die Verrücktesten darunter barfuss», erzählt Tom King senior.

Beatle kaufte Insel

Auch John Lennon ist mit der Crew Bay verbunden: Zum Discountpreis von 1700 Pfund kaufte der frühere Beatle 1967 die Insel Dorinish. Lennon lebte nie dort; Pläne für den Bau eines Hauses für ihn und seine Frau Yoko Ono zerschlugen sich mit Lennons Ermordung im Dezember 1980. Yoko Ono verkaufte die Insel später für 30 000 Pfund und spendete das Geld für gute Zwecke: noch so eine Geschichte aus Irlands Wildem Westen.

Themenspezifische Specials

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