Schriftsteller, Historiker und politischer Journalist: Martin Walker vor seinem Haus im französischen Bergerac.
Schriftsteller, Historiker und politischer Journalist: Martin Walker vor seinem Haus im französischen Bergerac. (Diogenes Verlag)
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«Das Leben ist zu kurz für schlechte Weine»

Seine berühmten Bruno-Romane sind eine Hommage an das Essen und Trinken im französischen Périgord. Der Schriftsteller Martin Walker über seine Wahlheimat Bergerac, edle Tropfen und seine Leidenschaft fürs Kochen.

Chandra Kurt

2008 ist der erste Band von «Bruno, Chef de Police» erschienen. Martin Walker, der schottische Historiker, politische Journalist und Schriftsteller hat damit nach Simenons Maigret und Andrea Camilleris Commissario Montalbano einen weiteren Inspektor kreiert, der gerne isst und geniesst.

Sein zu Hause ist das Périgord, wo Walker selber einige Monate pro Jahr lebt und regelmässig lokale Winzer besucht, über die er eine Kolumne für die lokale Zeitung «The Bugle Dordogne» verfasst. Ein Besuch in seinem Haus im Bergerac.

Warum trinken wir Wein?
Wein ist ein menschliches Unterfangen. Und wir können uns sehr glücklich schätzen, dass wir eine Weinkultur haben. Ich wäre gerne dabei gewesen, als der Mensch vor rund 8000 Jahren Wein entdeckte und sich in seinem Bewusstsein ein «Aha, was haben wir denn hier?» abspielte. Denn die ersten Anzeichen menschlicher Zivilisation sind, wenn du Wege entwickelst, um deine Realität zu verändern.

Wieso denn?
Es ist ein Teil unserer freien Fantasie. Wenn wir sie nicht hätten, hätten wir beispielsweise keine Technologie entwickelt. Wir können von der Zukunft träumen und über Dinge für die Zukunft nachdenken, welche die Dinge zum Besseren verändern. Diese Vorstellungskraft ist unser Drang, etwas zu erschaffen – ob das jetzt Kunst, Wissenschaft oder Technik ist. Zudem ist der Mensch ein sehr soziales Wesen, und zusammen zu essen ist fundamental wichtig. Mit einem Glas Wein geht das viel besser. Wein ist der perfekte Mechanismus, um Gemeinschaften zu schaffen und die schönen Dinge des Lebens zu schätzen.

Welche Rolle spielt Wein in Ihrem Alltag?
Dass hängt ganz davon ab, ob ich am Schreiben bin, zumal ich gern über den Mittag durchschreibe. Aber wenn ich mittags esse, geniesse ich dazu immer ein Glas Wein. Auch wenn Freunde hier sind. In der Regel servieren wir zum Apéro einen Kir und dann Wein zum Essen. Abends habe ich ein weiteres Ritual – ich besuche meinen Freund und Nachbarn Raymond, und wir gönnen uns einen schottischen Whisky. Falls wir zusammen essen, entkorken wir meist etwas aus dem Bergerac. Abgesehen vom Frühstück vielleicht gehört etwas Wein einfach zum Essen dazu.

Martin Walker

Martin Walker, geboren 1947 in Schottland, ist Schriftsteller, Historiker und politischer Journalist. Er lebt in Washington und im Périgord und schrieb 25 Jahre lang für die britischen Tageszeitung «The Guardian». In seiner Wahlheimat Bergerac spielen auch seine Kriminalromane «Bruno, Chef de olice», die inzwischen in 18 Sprachen übersetzt worden sind. Auf Deutsch sind sie im Diogenes Verlag erschienen. Für seine önologische Bergerac-Passion hat Walker bereits zahlreiche Auszeichnungen und Ehrungen erhalten, wie etwa den «Chevalier de Raisin d’Or» oder den «Grand Consul des Vins de Bergerac».

Was hat der Wein, was andere Getränke nicht haben?
Eines der grossartigen und cleveren Dinge am Wein ist, dass eine Flasche normalerweise für zwei reicht und für einen allein zu viel ist. Was ich damit sagen will, ist, dass es ein limitierter Genuss ist – man sieht den Anfang und auch das Ende. Eine zweite Flasche zu öffnen, ist eine zusätzliche Entscheidung. Wein ist ein Fest, und wie der schottisches Schriftsteller Robert Louis Stevenson so trefflich schrieb: «Wein ist flüssige Poesie». Ich habe mir auch den Spruch des grossen Bergerac-Dichters Michel de Montaigne zu Herzen genommen, dass man nie nur die besten Weine trinken sollte, da man sonst die wirklich tollen Sachen nie richtig schätzen kann.

Interessant ist ja auch, dass im Bergerac eine Vielzahl an guten Weinen vinifiziert werden und man die Region doch nicht so gut kennt – zumindest steht sie im Schatten der Nachbarregion Bordeaux. Zum Glück wirken Sie dem entgegen und schreiben in ihren Büchern und Kolumnen über die Weine der Region. Gehören Weingutbesuche auch zu Ihrem Alltag?
Natürlich. Ich besuche regelmässig die zahlreichen Winzer der Region und bin ein grosser Fan von ihnen.

Warum?
Erstens glaube ich an ihre Arbeit, und zweitens habe ich nie einen unsympathischen oder unglücklichen getroffen. Winzer müssen philosophisch sein, sind sie doch schlussendlich «gefangene des Klimas». Ich bewundere sie sehr und bin sehr interessiert, mehr über ihre Arbeit zu erfahren, zumal Weinproduktion viel mit Demut zu tun hat.

Der neuste Bruno-Roman von Martin Walker: «Französisches Roulette», 2021, Diogenes, 32 Fr.

Wo verkosten Sie sonst noch die Weine der Region?
Ich bin Juror an diversen Wettbewerben. Viel verkoste ich auch in der Weinhandlung Julien de Savignac, die sich nur wenige Minuten von meinem Haus entfernt befindet. Über sie schreibe ich übrigens auch in einem meiner Bücher, wo ich sie als «Weintempel» bezeichne. Man findet hier den «Vin ordinaire» im Offenausschank für 1,60 Euro pro Liter, aber auch Bordeaux-Weine, die bis zum 10 000 Euro kosten. Zudem gibt es hier vierzig bis fünfzig verschiedene Bergerac Weine.

Welchen Bergerac-Wein würden Sie einem Newcomer empfehlen?
Ein Grossteil der Bergerac-Weine wird von Kooperativen vinifiziert und für rund drei Euro pro Flasche vertrieben. Die Weine, die ich verkoste und geniesse, liegen zwischen 5 und 15 Euro. Zudem habe ich mich von erfahrenen Winzern davon überzeugen lassen, dass das Leben zu kurz ist, um sich mit weniger als guten Weinen zufriedenzugeben. Ich habe eine Schwäche für die Weine der Domaine de la Vitrolle aus dem Vézère-Tal, unweit von Limeuil. Das bezaubernde kleine Château war im Sommer 1944 ein geheimer Stützpunkt der Résistance unter der Führung von André Malraux. Heute ist es ein Hotel, umgeben von Obst- und Weingärten mit weitem Blick über den Fluss Vézère. Es ist auch der Schauplatz der Bruno-Romane «Grand Cru» und «Delikatessen».

Trinkt Ihr Inspektor Bruno nur Weine aus dem Bergerac?
Nein, nein! Er ist neugierig auf das, was er noch nicht kennt. Etwa Schaumwein aus England, Sauvignon Blanc aus Neuseeland, Pinotages und Chenin Blanc aus Südafrika oder Zinfandel aus Kalifornien. Aber natürlich sind die Weine aus dem Bergerac zentral. Seine Weinregel lautet ja, dass es keine gibt. Man soll trinken, was einem schmeckt. Ich bin übrigens fest davon überzeugt, dass man in jedem Land, das Wein vinifiziert, gute Weine finden kann. So habe ich auch hervorragende Weine aus Indien und oder Russland kennengelernt. Persönlich schätze ich sehr die Weine aus der Côte Rotie, klassische Pinots aus dem Burgund, Rieslinge oder Blauburgunder aus Deutschland und manchmal sogar Weine aus England. Als Schotte bin ich besonders stolz, dass wir jetzt sogar Reben in Schottland haben – etwas, dass es sogar zur Zeit der Römer nicht gab.

Martin Walker kommt in die Schweiz: Am 22. Oktober liest er bei Rösslitor Bücher in St. Gallen (20 Uhr), am 23. Oktober im Hotel Weissbad in Weissbad (20.30 Uhr).

Und was sagen Sie zu Schweizer Wein?
Ich habe viele Schweizer Weine getrunken und bin ein Fan der Petite Arvine. Im Wallis war ich an einem Literaturfestival und wollte unbedingt auch ein Fondue probieren und einem Alphorn zuhören. Beides war fantastisch! Und natürlich tranken wir ganz tollen Walliser Wein dazu. Aber auch das Tessin hat mich mit seinen roten Merlots sehr überzeugt.

Produzieren Sie selber auch Wein?
Ja, wir sind jetzt am dritten Cuvée, und jedes Mal vinifizieren wir ihn mit einem anderen Château. Mir ist wichtig, dass es immer etwas Malbec im Blend hat, da diese Sorte für Bergerac historisch wichtig ist. Vinifiziert wird der Wein immer im Keller von Julien de Savignac. Wir produzieren rund 6000 Flaschen und exportieren sie bis in die USA – wobei die meisten in Frankreich getrunken werden.

Nicht nur Bruno trinkt in Ihren Romanen gern Wein, auch Nebenfiguren wie Jack Crimson sind Geniesser.
Ja, Jack ist ein grosser Freund von Bruno mit einer Vergangenheit im Geheimdienst. Er besucht regelmässig wie ich Winzer der Region und kommt mit den besten Weinen nach Hause. Durch diese Figur kann ich umsetzten, was ich hier lebe und lerne. Beim Lesen der Bruno-Romane wird man immer etwas über die Weine der Region erfahren.

Sie und ihre Frau Julia kochen ja auch leidenschaftlich gern – und haben bereits zwei Bergerac-Kochbücher publiziert. Wie gehen Sie bei der Weinselektion vor? Kommt zuerst das Rezept und dann der passende Wein – oder definieren sie einen Wein und kochen dann das Gericht dazu?
Das hängt davon ab, wie viel Zeit ich habe. Wenn ich allein bin, geniesse ich zum Mittag einen Salat und ein Glas Weisswein aus dem Tetrapack. Am Dienstagabend treffe ich mich jeweils mit Freunden zum «Dîner de Célibataires», und hier planen wir natürlich ganz genau, welchen Wein wir zu welchem Gericht entkorken. Zur Trüffel- oder Jagdzeit servieren wir andere Weine als im Spätfrühling, wenn der frische Fisch ausgezeichnet ist.

Was ist für Sie ein guter Wein?
Jeder Wein hat ein eigenes Bouquet, und dieses sollte mich bereits verführen. Ich will im Gaumen auch erkennen, dass der Wein eine Frucht als Ursprung hat. Ich suche immer den fruchtigen Geschmack. Frische und Selbstsicherheit sind mir ebenfalls sehr wichtig, wie auch Finesse und Eleganz. Ein Wein, der einem im Gaumen frontal attackiert, ist nicht meine Sache. Er soll mich auf charmante Art betören und immer Lust machen, einen zweiten Schluck zu trinken.

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