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Plädoyer fürs Mitwirken im Alter

In Zukunft werden wir vierzig Jahr lang Rentner sein. Doch für uns Alte stellt sich nicht nur die Frage, wovon wir so lange leben, sondern dringender noch: wofür? Die Sinnfrage rückt vor die Finanzierungsfrage.

Ein Essay von Ludwig Hasler

«Es gibt kein Glück – ausser im Gebrauch meiner Kräfte.» Sagt Arthur Schopenhauer. Im Gebrauch meiner Kräfte, nicht im Ruhenlassen. Gilt das auch für uns Alte?

Haben wir nicht lange genug gearbeitet – und nun Anspruch auf Ausruhen, Geniessen, Nichtstun? Haben wir es nicht verdient, es einfach «schön zu haben»? «Spaziere, höckle, gnüsse», lese ich auf einem Plakat im Tram. Nichts dagegen – aber 25 Jahre? Um 1900 wurden die Leute hier durchschnittlich 46 Jahre alt. Wir werden bald doppelt so alt. «Die Menschen, die 150 werden, sind schon geboren.» Weiss Biogenetiker David Sinclair («Das Ende des Alterns»). Jedenfalls entkommen die meisten erstaunlich unbeschadet dem angeblich so brutalen Arbeitsleben, sind weiter bei Kräften, unternehmungslustig, erlebnishungrig. Vorbei die Zeit, als das Alter nur eine Richtung nahm: abwärts – schrumpfen, serbeln, sterben. Heute, sagen Glücksforscher, folgt unsere Vita der Form eines U: Mit etwa 17 sind wir am glücklichsten, da scheinen uns alle Möglichkeiten offen, danach schliessen sich die Optionen, wir werden immer mehr, was wir sind, basta, Tiefpunkt mit 46.

Doch nun, so mit 66, erleben wir eine zweite Pubertät, das Leben wird erneut zum Reich der Möglichkeiten. Es beginnt das sogenannt Dritte Alter, die Phase einer wunderbar neuen Freiheit, die Chance einer sensationell unentfremdeten Existenz. Wir verfügen frei über unsere Zeit, wir schalten und walten nach unserem Gusto. Dank flächendeckender medizinischer Betreuung bleiben wir länger fit, abgenutzte Gelenke lassen wir auswechseln, zerfurchtes Aussehen lässt sich straffen. Der «aktive Senior» kann sich einiges leisten, dank E-Bike und Yoga und Rollkoffer bringt er tüchtig Bewegung in seine Tage. Bis das Alter, wie es früher war, dann doch eintritt, bloss verspätet: mit Gebrechen, Hinfälligkeit, Verwirrung.

Und – sind wir Alten jetzt bei Laune? Jetzt, wo der «Lebensabend» sich zum Lebensnachmittag dehnt, zur jahrzehntelangen Siesta? Merkwürdig, die bestgelaunten Alten, die ich kenne, sind für manches zu haben, bloss nicht für die immerwährende Siesta. Sie arbeiten zwischendurch im Blumenladen, sie beleben die Quartierbeiz, sie helfen im Spital aus, sie übernehmen politische Ämter in der Gemeinde, sie gehen in die Schule, da üben sie mit Kindern, die nicht so begünstigt sind, Mathe oder Deutsch.

Ludwig Hasler ist ein Schweizer Philosoph, Physiker und Bestsellerautor. Sein neustes Buch: «Für ein Alter, das noch was vorhat», Verlag Rüffer & Rub; 26 Franken

Warum tun sie sich das an? Sie tun sich gar nichts an. Sie wollen leben. Wollen mitwirken – statt sich abmelden und den Rest des Lebens als Passivmitglied der Gesellschaft zubringen. In meinen Augen vorbildlich. Wir Alten wollen respektiert sein? Dann führen wir uns am besten auch so auf. Das Steuer geben wir ab an die Jüngeren, doch wenn uns am Zusammenhalt der Gesellschaft liegt, unterstützen wir die Jungen, wir teilen ihre Sorgen, mit Neugier, ohne Besserwisserei. Durchaus zu unserem eigenen Nutzen. Solange wir uns nicht überflüssig vorkommen, fallen wir nicht in Sinnkrisen.

Es reicht eben nicht, es privat «schön zu haben». Menschen sind keine Blumen, die darin aufgehen, ihre Blumen der Sonne entgegenzuhalten. Wir sind auch nicht besonders gut als Katze, die ihren Tag geniesst, sich nie so lästige Fragen stellt wie «Woher komme ich, wohin gehe ich, wer bin ich?». Nein, wir Menschen sind weltgestaltende Wesen, wir wollen mitwirken in einer Geschichte, die wir interessant finden, für uns und für andere, da wollen wir uns nützlich machen, wir wollen gebraucht werden, wollen Spieler sein, Akteure, nicht bloss Flaneure, egal, in welcher Rolle, Hauptsache, keine weggelegten Schachfiguren.

Wer sich einzig um sich selber kümmert, hat im Alter schlechte Karten»

Kürzlich las ich einen Artikel unter dem Titel «Vögel machen so glücklich wie eine Lohnerhöhung». Eine Studie kommt zum Schluss: Menschen, die in einer vogelreichen Umgebung leben, sind zufriedener, haben bessere Laune. Okay, dachte ich, Lohnerhöhung kriegen wir Alten eh keine mehr, also lasst uns dafür sorgen, dass wieder mehr Vögel um uns sind: Hecken pflanzen, überhaupt viel einheimisches Grünzeug wachsen lassen, überall Vogelhäuschen aufhängen, Futter streuen durch den Winter – und gleich wären wir glücklicher, auch ohne Safari und Schlauchbootabenteuer in Kanada. Gleichzeitig würde die Biodiversität gestärkt – und gleich sähe die Zukunft der Jungen ein bisschen freundlicher aus.

Das wäre natürlich nur der Anfang. Doch so ungefähr stelle ich mir das vor mit dem schlaueren Zusammenspiel zwischen Alt und Jung: Die Jungen sind beschäftigt mit allerlei Dringlichkeiten, vor allem mit sich selbst. Wir Alten haben jede Menge Zeit. Wir könnten uns um ein paar Dinge kümmern, die den Jüngeren die Zukunft erleichtern. So könnten wir etwas mehr bewegen als nur uns selbst – und gewännen so eine Portion Sinn in unsere Pensionärswelt. Denn wer sich einzig um sich selber kümmert, hat im Alter schlechte Karten: Wir sind – letztlich – nicht zu retten, wir werden alle demnächst sterben, hundert Prozent.

Was stimmt mich trotzdem vergnügt? Die Freude, an etwas mitzuwirken, das grösser, bedeutender ist als mein vulnerables kleines Ich. Das Vergnügen, teilzuhaben an etwas, das erst kommt, das mich überdauern wird.

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