«Wein wird zunehmend zum Genussmittel und Lifestyle-Produkt»: Philipp Schwander.
«Wein wird zunehmend zum Genussmittel und Lifestyle-Produkt»: Philipp Schwander. (Thomas Hary)
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«Wein ist vergorener Traubensaft»

Der Schweizer Weinhändler und Winzer Philipp Schwander über die wichtigsten Trends, Etikettenschwindel und die verwirrende Diskussion über biologische und vegane Weine.

Dominic Geisseler

Liegt Weintrinken im Trend?
Wein wird seit über 7000 Jahren produziert. Er war eines der ersten Handelsgüter, die sich vor rund 2000 Jahren vom Mittelmeerraum auf der ganzen Welt zu verbreiten begannen. Weintrinken ist ein anhaltender, jedoch kein neuer Trend.

Wie hat sich der Weingenuss in den vergangenen Jahren verändert?
Wein wird noch immer mehrheitlich dort getrunken, wo er produziert wird. Der Weinkonsum ist aber im Wandel begriffen. Die wichtigste internationale Entwicklung ist die Zunahme des Verbrauchs in nicht-traditionellen Märkten bei teilweise dramatischem Rückgang in den weinproduzierenden Ländern wie Italien, Frankreich und Spanien.

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Noch in den 60er-Jahren lag der Pro-Kopf-Konsum in diesen Ländern teilweise bei 200 Litern pro Jahr, heute bewegt er sich zwischen 30 bis 40 Liter. Früher war Wein ein Lebensmittel und Alltagsgetränk, heute wird er zunehmend zum Genussmittel und Lifestyle-Produkt.

Wieso werden immer mehr Bier und andere alkoholhaltige Getränke konsumiert?
Ganz einfach: Die Weinproduktion ist überwiegend von kleinen Betrieben geprägt. Die internationalen Spirituosen- und Bierkonzerne können dagegen riesige, weltweite Kampagnen fahren, um ihre Produkte populär zu machen.

Welches sind die zurzeit wichtigsten Weintrends?
Eine häufig gestellte Frage, die oft dahingehend falsch beantwortet wird, dass Naturweine, alkoholfreie oder aus pilzwiderstandsfähigen Sorten gekelterte Weine, vegane oder in Amphoren ausgebaute Gewächse die wichtigsten Trends seien. Das sind sicher interessante und wachsende Nischen, ihr Anteil am Gesamtmarkt ist aber verschwindend klein. Mengenmässig viel bedeutender sind Markenweine von Grosskonzernen im internationalen Stil aus den zumeist gleichen, weltweit angepflanzten Traubensorten wie Chardonnay, Merlot und Cabernet.

Edle Tropfen zu bezahlbaren Preisen: Château Bauduc und...
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Château Ramafort im Bordelais.
Château Ramafort im Bordelais.
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Ein weiterer, leider sehr unerfreulicher Trend sind Rotweine mit zugesetztem Zucker; in Apulien werden teilweise bis zu dreissig Gramm pro Liter hinzugefügt – das ist eigentlich schon fast Limonade. Bis jetzt muss dieser Zuckerzusatz nicht deklariert werden, was ich skandalös finde. Ein anderer Trend sind helle Rosé-Weine im Provence- Stil. So haben LVMH und andere Konzerne hier bereits kräftig investiert. Mit diesen oft belanglosen Weinen in modischen Flaschen lässt sich im Moment Geld wie Heu verdienen.

Bei immer mehr Weinen ist der Alkoholgehalt sehr hoch. Schreckt das nicht ab?
Es ist verständlich, wenn Konsumenten einem Wein mit tieferem Alkoholgehalt den Vorzug geben. Die teilweise geradezu panische Angst vor Gewächsen mit mehr als 14 Volumenprozent ist jedoch überaus realitätsfremd. Normaler Konsum vorausgesetzt, spielt es letztlich kaum eine grosse Rolle, ob ein Wein nun 12,5 oder 14 Prozent Alkohol enthält und stellt auch keine bedeutende Mehrbelastung des Organismus dar. Bei einer halben Flasche Wein nehmen Sie bei 12,5 Prozent 37,5 Gramm Alkohol zu sich, bei einem schweren Wein mit 14 Prozent sind es lediglich 4,5 Gramm Alkohol mehr. Viele wissen aber auch nicht, dass teilweise bewusst tiefere Alkoholgehalte auf den Etiketten angegeben werden. Von Gesetzes wegen darf der Alkoholgehalt in der EU um 0,5 Volumenprozent variieren. In den USA beträgt die Bandbreite sogar 1,5 Prozent.

Was ist von biologischen Weinen zu halten?
Wein ist nur vergorener Traubensaft. Das ist die kurze, akkurate Definition dieses Getränks. Eigentlich ist es schade, dass es überhaupt zusätzlicher Adjektive wie «biologisch», «natürlich» oder «vegan» bedarf, um Gewächse zu unterscheiden, die genau dem entsprechen, was Wein per Definition ist. Wein kann wie andere Lebensmittel auch mehr oder weniger bekömmlich, manipuliert oder wohlschmeckend sein.

Philipp Schwander, der Master of Wine

Seit vierzig Jahren ist Philipp Schwander im Weinhandel tätig und feiert mit seiner Weinhandlung Selection Schwander dieses Jahr sein 20-Jahr-Jubiläum. 1996 bestand er als erster Schweizer die weltweit schwierigste Weinprüfung, den Master of Wine. Mit der 2003 gegründeten Selection Schwander füllte er eine Marktlücke nach bezahlbaren, qualitativ hochwertigen Weinen. Oft keltern die Produzenten spezielle Weine nach seinen Vorgaben. Seit seinem 16. Lebensjahr ist Wein sein Hobby; die grossen Bordeauxweine degustiert er seit dem Jahrgang 1982 vom Fass. Schwander besitzt ausserdem einen der besten Rebberge im spanischen Priorat (Sobre Todo) und zusammen mit einem Freund fünfzig Hektar Rebfläche im Ribera del Duero.

In vielerlei Hinsicht könnten Ausführungen zu natürlichem Wein ebenso gut von anderen Lebensmitteln wie Brot, Milch, Bier und all jenen Produkten handeln, die ein übermässig kommerzialisiertes Schicksal erlitten haben und dann ein Revival ihrer Naturform erlebten. Wichtig zu wissen ist, dass Wein durch die Gärschranke und die anschliessende Lagerung oft deutlich weniger Rückstände enthält als etwa frisch geerntetes Gemüse oder Früchte.

Wie viel Manipulation ist erlaubt?
Die Entscheidung darüber, wie viel Manipulation akzeptabel ist, ist alles andere als einfach. Allein bei der Herstellung eines EU-Bioweins dürfen über fünfzig Zusatz- und Hilfsstoffe verwendet werden. Diese müssen jedoch nicht auf der Etikette deklariert werden, mit der Begründung, dass erstens die Konsumenten dadurch verunsichert werden könnten, und zweitens, weil sich die Zusammensetzung dieser Stoffe jährlich ändere und das Drucken jeweils neuer Etiketten zu aufwendig sei. Ein qualitätsbewusster Winzer «bastelt» an seinem Wein jedoch so wenig wie möglich herum, viele vergären ohne Zusätze und füllen den Wein dann nach einer gewissen Reifezeit ab. Meist ist ein wenig Schwefel der einzige Zusatz.

Ist der Zusatz von Schwefel denn notwendig?
Schwefel wird zu Unrecht als Hauptverursacher von Kopfschmerzen genannt. Als natürliches Element kommt Schwefel überall vor und wird in unzähligen Lebensmitteln zur Konservierung eingesetzt. Zudem ist Schwefel für viele Stoffwechselvorgänge lebensnotwendig.

Schwefel ist gut für den Wein?
Seit der Antike wird Schwefel in Form von Schwefeldioxid zum Desinfizieren von Behältern und vor allem gegen das Braunwerden (Oxidation) eingesetzt. Ungeschwefelte oder nur schwach geschwefelte Weine altern schnell und entwickeln auch deutlich mehr Histamin, das wiederum hauptverantwortlich für Kopfschmerzen ist.

Château Ramafort, Médoc, 2016, Edition «Claude Lorrain»;
Fr. 17.90
Château Ramafort, Médoc, 2016, Edition «Claude Lorrain»; Fr. 17.90
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Chianti Riserva «Forte-braccio», 2020, Tenuta Moriniello, Bio; Fr. 15.90
Chianti Riserva «Forte-braccio», 2020, Tenuta Moriniello, Bio; Fr. 15.90
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Château Bauduc blanc, 2022,Bordeaux  Appellation contrôlée; Fr. 13.60
Château Bauduc blanc, 2022,Bordeaux  Appellation contrôlée; Fr. 13.60
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Tipps von Philipp Schwander

Was die wenigsten wissen: Bei der alkoholischen Gärung entsteht Schwefel ganz natürlicherweise, das heisst, einen Wein ganz ohne Schwefel gibt es gar nicht. Fazit: Eine zu geringe Schwefelung der Weine fördert die Entwicklung von Stoffen, die weitaus schädlicher sind als der verantwortungsbewusste Einsatz von Schwefel.

Schmecken biologische Weine besser?
Genausogut könnte man fragen, ob deutsche Literatur besser sei als französische. Wie ein Wein schmeckt, kommt grundsätzlich auf den Winzer, den Rebberg und den Jahrgang an. Es gibt miserable biologische Weine und exzellente, herkömmlich hergestellte. Die Bio-Labels kontrollieren denn auch nur die Prozesse und nicht die Produktqualität. Tatsache ist, dass heute auch die konventionell arbeitenden Winzer die Menge an Pflanzenschutzmitteln stark reduzieren. Generell scheinen Reben aus biologischem Anbau aber über die Jahre resistenter gegen Krankheiten zu werden und auch tendenziell Beeren mit mehr Aroma hervorzubringen.

Sie sagen, dass Ihre Weine ein besonders gutes Preis-Leistungsverhältnis haben. Behaupten das nicht alle?
Selbstverständlich. Doch letztlich zeigt eine Degustation, ob dies stimmt oder nicht, und der Zuspruch der Kunden. Gerade der Vergleich mit ähnlichen Weinen aus der gleichen Region kann sehr erhellend sein. In diesem Sinne ermuntere ich Sie, einmal unseren Château Ramafort 2016 aus dem nördlichen Médoc mit dem Phélan-Ségur 2016, ebenfalls aus dem nörd-lichen Médoc und auch ein Cru Bourgeois, zu vergleichen. Der Phélan-Ségur kostet zwischen vierzig und fünfzig Franken, der Ramafort 17.90 Franken. Interessant ist auch immer ein Vergleich unserer Chianti-Riserva-Spezialfüllung der Familie Moriniello mit anderen berühmten Sangiovese aus der Toskana. Oder unser weisser Bordeaux von Château Bauduc für 13.60 Franken, der zwar nur im Stahltank ausgebaut ist, den ich aber sehr vielen, wesentlich kostspieligeren weissen Bordeaux vorziehe.

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