Reisen

Innehalten im Teeparadies

Wo einst Freigeister auf dem «Berg der Wahrheit» einen Zufluchtsort fanden, wird heute Tee angepflanzt und zelebriert. Ein Besuch im Teegarten auf dem Monte Verità.

Text: Denise Muchenberger / Bilder: zvg

Immer wieder muss Katrin Lange schmunzeln, wenn Besucherinnen und Besucher mit Wanderschuhen und Rucksack vor ihr stehen und fragen, wo es denn auf den Berg, auf den Monte Verità gehe. Der Berg liegt 320 Meter über Meer. Von Ascona aus lässt er sich in einer Viertelstunde «erklimmen». Den Wanderstock kann man also getrost zu Hause lassen.

Dafür bietet der Hügel oberhalb von Ascona ein ideales Klima, um Tee gedeihen zu lassen. 2005 wurde erstmals Grüntee angepflanzt, und nach etwa fünf Jahren konnten erste Blätter der immergrünen Pflanze Camellia sinensis gepflückt werden. Weil die Blätter geschmacksneutral sind, werden sie nach der Ernte etwa fermentiert oder oxidiert und zu einer der sechs möglichen Sorten weiterverarbeitet: grünem, gelbem, weissem, postfermentiertem, Oolong oder schwarzem Tee.

Seit 2017 führt die Bernerin Katrin Lange die Teeplantage samt Teehaus und Zen-Garten gemeinsam mit ihrem Mann und dem Geschäftsführer-Paar Corinne und Tobias Denzler. Lange führt uns über das Gelände und zeigt uns die Teeplantage, die tatsächlich viel kleiner daherkommt, als man sich das vielleicht im Vorfeld ausmalt. «Ich spreche deshalb bewusst von einem Teegarten», sagt sie. Bevor man eintritt, passiert man ein bogenförmiges Tor, in der Zen-Philosophie ein wichtiges Ritual, um Altes hinter sich zu lassen, loszulassen und in die Gegenwart einzutauchen. Anschliessend folgt man dem Weg rund um den in Reihen angelegten Teegarten, bis man den Teepavillon und den kleinen Zen-Garten erreicht. Im gedeckten Pavillon hat es Sitzbänke, hier kann man innehalten und sich verinnerlichen, was der Zen-Garten symbolisch wiedergibt: Jeden Tag bricht etwas Neues an. Deshalb wird der feine Kies jeden Morgen mit einem Rechen in Form gebracht, um diesen Neuanfang zu verbildlichen.

Apfelgrüne Erfrischung

Neben dem Tee-Garten befindet sich die Casa del Tè, ein schmuckes, kleines Haus, das vor seinem Umbau lange Zeit als Schopf diente. Auch wenn der Platz im Innern beschränkt ist, wird jeder Quadratmeter optimal genutzt, um Teeliebhaberinnen und Teeliebhabern alles zu bieten, was das Herz begehrt. Im Teehaus befindet sich unter anderem ein Laden, der über 100 auserlesene Teesorten bietet, neben Teeutensilien und kunstvollem Teegeschirr aus unterschiedlichen Ländern. Die eigene Teesorte vom Monte Verità steht nur selten im Regal, und wenn, dann ist sie im Nu ausverkauft. Die Langes kommen auf etwa 3 Kilo Ertrag jährlich und als erste werden die Gönnerinnen und Gönner des Vereins zur Förderung der Teekultur Monte Verità bedient. Den Rest verkaufen sie im Laden.

Im Laden hat es auch eine kleine Teeküche, wo Tee fachkundig und auf Wunsch nach europäischer, chinesischer oder japanischer Art zubereitet wird. Bei unserem Besuch wird der erfrischende, apfelgrüne Kukicha Maccha als Tee des Monats angepriesen. Da sich das Wetter von der besten Seite zeigt, können wir im kleinen Teegarten Platz nehmen und den ersten Schluck aus dem kleinen Porzellanschälchen geniessen. Der Ausblick auf den Lago Maggiore tut das Seinige, dass diesen Moment zu einem ganz besonderen macht. Von hier sieht man bis Cannobio, wo der Lago Maggiore einen Bogen macht. Zum Tee werden kleine Sablés serviert, und in den warmen Monaten gibt es auch eine Matcha-Glacé. Ansonsten beschränkt sich das Angebot bewusst und ausschliesslich auf Tee.

Eine Form der Meditation

Nachdem die Teekanne leer ist, treten wir in den Chashitsu ein, den japanischen Teeraum. Hier müssen die Besucherinnen und Besucher die Schuhe ausziehen. Teemeisterin Eri Gnarini Homma bereitet sich gerade auf eine Oyatsu vor, eine japanische Teezeit, die heute erneut ausgebucht ist. Erst seit Anfang des Jahres wird die Oyatsu in der Casa del Tè angeboten. Es handelt sich dabei um eine Art «Tea & Dine», bei welchem in fünf Sequenzen verschiedene Teesorten mit japanischem Gebäck serviert werden. Als Abschluss folgen ein Saké und eine salzige Speise. Teemeistern Eri Gnarini Homma stammt aus einer japanischen Teefamilie und ist der Liebe wegen nach Locarno gezogen. «Irgendwann stand sie vor uns, für alle ein Glücksfall», sagt Katrin Lange. So könne auch die japanische Teezeremonie, die an zwei Samstagen im Monat angeboten wird, in authentischer Form wiedergegeben werden.

Casa del Tè

Die Casa del Tè erreicht man in einem fünfzehnminütigen Spaziergang ab Ascona oder mit dem Auto. Es hat Parkplätze vor dem Haus. Die Casa del Tè ist das ganze Jahr über geöffnet. In den Monaten April bis Oktober täglich von 9 bis 18 Uhr und von November bis März jeweils von Freitag bis Sonntag von 11 bis 17 Uhr. Die japanischen Teezeremonien werden an zwei Samstagen im Monat abgehalten, die japanische Teezeit ­Oyatsu an jeweils zwei Freitagen im Monat. Ferner werden Degustationen und Führungen durch den Tee­garten angeboten. Alles nur auf Voranmeldung.

Bei einer japanischen Teezeremonie geht es allerdings nicht um Unterhaltung oder darum, Teesorten zu verkosten, sondern während rund zwei Stunden innezuhalten und Teemeisterin Homma im Kimono bei der kunstvollen Zubereitung des Tees zuzuschauen. Dieses Ritual wird in Japan über mehrere Jahre erlernt und von Generation zu Generation weitergeben. Es geht dabei um viele Details, auch um die Körperhaltung, um den Ausdruck. «Es gibt immer wieder Gäste, die nicht so lange stillsitzen können. Deshalb ist es auch wichtig, dass wir transparent aufklären. Die japanische Teezeremonie ist eher eine Form der Meditation», erklärt Katrin Lange. Mit der japanischen Teestunde Oyatsu bietet sie deshalb eine Alternative, die auch eine Verkostungsmöglichkeit von verschiedenen Teesorten beinhaltet.

Teekultur ist Gastfreundschaft

Auf die Bedürfnisse der Besucherinnen und Besucher einzugehen und ein schönes Programm rund um die Teekultur anzubieten, das ist Katrin Lange wichtig. Neben Führungen durch den Teegarten können Degustationen gebucht werden. Die Bernerin investiert viel Herzblut in das neue Projekt, das es ihr ermöglicht habe, ihr seit den 80er-Jahren betriebenes Geschäft Länggass-Tee in Bern loszulassen. «Ich hätte das noch bis 85 machen können. Aber irgendwann kommen die Söhne in den Betrieb, und dann gilt es, Platz zu machen.» Nun kann sie ihr reichhaltiges Wissen über Tee auf dem Monte Verità weitergeben. «Das Liebste an der Teekultur ist mir die Gastfreundschaft», sagt sie. Und dafür könne sie sich keinen besseren Ort vorstellen als diesen besonderen Berg, der schon immer die verschiedensten Menschen aus aller Welt empfangen hat.

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